Hamburg- St. Katharinen
Das Mäusegespenst vom Grasbrook erzählt seine Turmgeschichte
Ob ihr es glaubt oder nicht, am 11.11.16 um 11 Uhr 16 werde ich genau 616 Jahre alt. Für ein Gespenst ist das ein ziemlich normales Alter. Aber der Rest der Geschichte ist gar nicht normal, denn wie aus einer Piratenschiffsmaus ein Mäusegespenst geworden ist, das muss ich euch unbedingt erzählen.
Ich hatte ein ziemlich aufregendes Leben hinter mir, denn ich lebte lange Jahre mit Klaus Störtebeker und seinen Piraten auf Segelschiffen, die auf der Jagd nach fetter Beute die Elbe rauf und runter fuhren. Auch auf der Ostsee und der Nordsee wurden die Handelsschiffe der reichen Pfeffersäcke von ihnen umzingelt und ausgeplündert.
Klar, dass sich das die Hamburger Kaufleute nicht lange gefallen ließen, und als sie schließlich im Jahr 1401 Störtebekers Schiff vor Helgoland kaperten, machten sie kurzen Prozess. Störtebeker und seine Bande wurden zum Tode verurteilt.
Auf dem Grasbrook, wo ich heute noch immer nachts herumgeistere, war die Hinrichtungsstätte der Hansestadt.
Dort sollten die Piraten geköpft und ihre Schädel auf Pfählen am Grasbrook aufgestellt werden. „Zur Warnung für andere Seeräuber!“, verkündete der Bürgermeister lautstark.
Und der Scharfrichter Rosenfeld stand schon mit frisch geschliffenem Schwert bereit.
Da hatte ich einen kühnen Plan! Während der Bürgermeister seine flammende Rede über die Gräueltaten der Seeräuber fortsetzte, nagte ich Störtebekers Handfesseln durch. So, jetzt noch die Fußfesseln, dachte ich, dann könnte unser Klaus durch einen kühnen Sprung in die Elbe entkommen.
Fast wäre meine List geglückt. Doch in letzter Sekunde entdeckte mich der Scharfrichter und hieb mir als allererstem den Kopf ab! Das hatte ich von meiner Hilfsbereitschaft. Aber ganz umsonst war es doch nicht.
Weil ich ja eigentlich eine gute Tat geplant hatte, war ich nicht mausetot, sondern ich durfte als Mäusegespenst weiterleben. Seither spuke ich nachts auf dem Grasbrook.
An nebeligen Tagen wage ich mich bis zum Störtebeker-Denkmal vor, das am „Störtebeker Ufer“ steht. Dann träume ich zu seinen Füßen von den herrlichen vergangenen Abenteuer-Zeiten…
Vor ein paar Wochen hab ich dort Kati, die Kirchenmaus von St Katharinen, kennengelernt. Eine sehr lebhafte und freundliche Person. Sie ist sehr stolz auf ihre Kirche und auf Katharina die mutige, kluge, schöne Schutzpatronin, die als Bronzefigur oben auf dem Kirchendach zu bewundern ist.
Kati ist erleichtert, dass der Krach und die Renovierungsarbeiten in der Kirche endlich vorbei sind und der jahrhunderte alte Bau wieder in altem Glanz erstrahlt. Besonders schön ist der Turm. Er ist nämlich mit einer goldenen Krone zu Ehren der Heiligen Katharina geschmückt. Angeblich ist die Krone aus dem Beutegold geschmiedet, dass die Hamburger damals dem Störtebeker abgenommen haben. Es soll im Hauptmast seines Schiffes versteckt gewesen sein.
Ob das mit der echt goldenen Turmkrone stimmt? Ich bin nachts mehrfach um den Turm herumgeflogen. Auch bei Vollmond. Aber sicher bin ich nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass die Hamburger damals geschummelt haben und dass das Gold auf dem Turmdach nicht echt ist. Wie dem auch sei, jedenfalls erinnert mich die goldene Krone des Jacobikirchturmes heute noch an meine Jugend und die aufregende Seeräuberzeit.
Das gotische Kirchenschiff stand übrigens schon, als ich mit Störtebeker das erste Mal in den Hamburger Hafen einlief. Weil es damals die Hafencity noch nicht gab, sah man die Kirche sofort! Ich hab den schönen neuen Bau von allen Seiten bewundert, als ich mich beim Landgang im Hafen herumtrieb. Schiffsbauer, Seeleute, Kaufleute und die Bierbrauer vom nahegelegenen Hopfenmarkt haben zusammengeholfen, damit diese herrliche Kirche am Elbufer errichtet werden konnte.
Der Turm ist heute 116,70 m hoch. Sein Kernstück stammt aus dem 13. Jahrhundert. Es ist der dicke untere Teil. Angeblich das älteste „aufrecht stehende Gebäude“ Hamburgs.
Das hat jedenfalls Kati Kirchenmaus behauptet. Sie hat mir auch erzählt, dass es gleich nach der Wiedereröffnung im Advent 2012 ein besonderes Ereignis gab:
Die Hamburger Grundschulkinder haben den Katharinen-Turm auf eine besondere Weise geehrt! Sie haben im Rahmen des Projekts „Büchertürme“ vom 11.11.11 bis zum 12.12.12 mehr als 31 000 Bücher gelesen. Die letzte Etappe war ein Bücherturm so hoch wie der Katharinenkirchturm!
Das wurde mit einem Lesefest in der Kirche gefeiert, das die Schüler der benachbarten Katharinenschule musikalisch umrahmten. Ihre fröhlichen Stimmen und den Klang der neuen Orgel hörte ich bis zum Grasbrook.
Da ich ein Nachtgespenst bin, konnte ich leider nicht dabei sein. Aber Kati Kirchenmaus hat mir alles haarklein berichtet. Und auf Kati ist Verlass. Besucht sie doch einfach mal. Vielleicht klettert sie mit euch auf den Turm?